4. Dezember 2017 Mario Schmidt-Wendling

Alles Zwift oder wat?

Alles Zwift oder wat? 

(Mario Schmidt-Wendling 1.12.2017)

Die aktuelle kalte und dunkle Jahreszeit stellt uns Triathleten immer wieder vor besondere Herausforderungen in Sachen Training. Insbesondere das Radtraining outdoor gestaltet sich in einigen Regionen als äußert schwierig, denn kalte Temperaturen und Niederschläge in jeglicher Form heben das Infektrisiko deutlich an. Einige Athleten sind hartgesotten und fahren dennoch bei fast jedem Wetter draußen, andere wiederum haben eine deutlich „softere“ Kältetoleranz.

Für die Forstbeulen bietet sich daher das Training auf der Rolle an, doch nicht nur sie, sondern eigentliche alle Triathleten können sehr stark vom strukturierten und bewusst eingesetztem Rollentraining profitieren.

Bevor wir jetzt zu sehr ins Detail gehen, sollten wir einen kurzen Material-Exkurs eingehen, um die unterschiedlichen Trainer kurz zu erklären.

Spinning Bike

Viele Sportler wundern sich im Frühjahr, dass ihre Radleistungen nicht zum Trainingsaufwand des Winters auf dem Spinningbike zusammenpassen. Grund dafür ist der fehlende Freilauf in Kombination mit den großen, schweren Schwungscheiben der Standräder. Die Kurbel wird nach dem Losfahren zu einem großen Anteil über die Schwungscheibe bewegt, so dass der muskuläre Aufwand zur Überwindung des Widerstands deutlich geringer ausfällt als beim „echten“ Radtraining. Wenn das Spinning bewusst zur Verbesserung der Trittfrequenz eingebaut wird, ist es sinnvoll, als alleiniges Trainingsmittel im Winter würde ich davon jedoch eher abraten.

Freie Rolle

Das Training auf der sog. freien Rolle kommt dem Fahren auf der Strasse am nächsten, da sich beide Laufräder frei bewegen können. Hierzu stehen dem Fahrer ca. 30-50min breite Rollen zur Verfügung. Der Fahrer muss konzentriert sein und über einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn verfügen. Unfälle auf der freien Rolle, wenn Athleten links oder rechts von der Rolle runterfahren, sind keine Seltenheit. Daher bitte alle scharfkantigen und wertvollen Dinge aus dem Weg räumen. Besonders das Auf-und Absteigen will geübt sein, notfalls zur Gleichgewichtsfindung an einem festen Gegenstand (z.B. Türklinke) festhalten. Hochintensive Intervalle sollten aus den genannten Unfallgründen nicht auf der freien Rolle, sondern auf dem Turbo Trainer absolviert werden.

Turbo Trainer

Beim Turbo Trainer wird das Hinterrad eingespannt und läuft über eine entsprechende Walze. Der Widerstand kann hierbei manuell eingestellt werden. Seit einigen Jahren gibt es diese Trainer auch in der Direct Drive-Variante. Hierbei wird das Hinterrad ausgebaut und die Kette läuft über eine auf dem Turbo Trainer befestigte Kassette. Grade bei Kraftausdauerintervallen bringen diese Direct Drive-Trainer deutlich mehr Realität ins Indoor-Training, weil der Reifen nicht über die Walze rutscht. Die Geräuschentwicklung der Direct Trainer ist deutlich geringer als die der meisten „Walzen“.

Smart Trainer

Die neueste Generation an Indoor-Trainern stellen die sog. Smart Trainer da. Das sind Trainingstools aus der Gruppe der Turbo Trainer, die über Bluetooth oder ANT+ mit entsprechenden Softwares und Apps kombiniert werden können. Die aktuell bekannteste und meist genutzte Software am Markt ist Zwift.

Vorteile des Indoor-Trainings

Das Training in den eigenen vier Wänden ist ein wahrer Segen für alle Sportler mit geringem Zeitbudget. Anstatt sich ewig lang an- und auszuziehen, springt man in eine kurze Radhose, Flasche auffüllen und los gehts. Gerade bei kurzen Einheiten kann man das Verhältnis von Netto-zu Bruttotrainingszeit deutlich optimieren. Beim Fahren auf der Strasse gibt es (je nach Topographie und Verkehr) immer wieder Passagen, in denen man rollt oder stehen bleiben muss. Beides entfällt auf der Rolle, 1 Stunde Training bedeutet 60min Treten. Die Tatsache, dass man sich nicht auf den Verkehr und stattdessen ganz dezidiert auf die Trainingsvorgabe konzentrieren kann, ist ein weiterer Pluspunkt, Wattvorgaben und Technik-Drills können deutlich eher als auf der Strasse umgesetzt werden. In Ballungsgebieten kommt Sicherheitsaspekt hinzu, die Schlagzeilen und Social Media Postings in 2017 lassen mir die Nackenhaare aufstellen, wenn man so liest, wie viele Sportler in diesem Jahr von Autos angefahren wurden. Grund hierzu dürfte das zu überdenkende Smartphone-Nutzerverhalten mancher Autofahrer während der Fahrt sein.

Nachteile des Indoor-Trainings

Radfahren bedeutet Freiheit.

Wer schon mal Kindergesichter beobachtet hat, wenn sie das erste Mal auf dem Rad gefahren sind, der weiß, von was ich hier schreibe. Der Aspekt der Freiheit kann leider auf dem Indoor-Trainer nicht abgebildet werden. Hinzu kommt, dass sich wahrscheinlich >95% aller Triathleten beruflich bedingt in geschlossenen Räumlichkeiten primär aufhalten. Frische Luft kann nie schaden, das Rollentraining kann das nur sehr bedingt durch Öffnen der Fenster wiedergeben. Ein wichtigerer Punkt ist die deutlich geringere Beanspruchung der Rumpfmuskulatur als beim Fahren auf der Strasse. Kurvenfahren, Antritte nach Kurven, Seitenwind etc. bringen ein hohes Maß an Aktivität der kleinen stabilisierenden Muskeln im Core mit sich. Das Hauptproblem liegt hierbei in der Größe dieser Muskeln. Wie bereits beschrieben, sind diese eben recht klein und haben eine frühere Ermüdungstendenz als große Muskelgruppen. Im Wettkampf kann sich das durchs Indoor-Training bedingte Vernachlässigen dieser Muskeln rächen, wenn ein Sportler im Rumpf früher ermüdet und entsprechend frühe seine Aeroposition aufgeben muss. Durch den fehlenden Windwiderstand auf der Rolle, werden indoor zumeist höherer Trittfrequenzen realisiert als auf der Strasse, was zu einer etwas weniger spezifischen Ausprägung des Tretmusters führen kann.

Der Hauptkritikpunkt hinsichtlich des Rollentrainings ist die sich degenerierende Fähigkeit des Radfahrens als solches. Wenn man sich z.B. Lionel Sanders, den ungekrönten Indoor-König, am Wendepunkt des Ironman Hawaii in Hawi anschaut, weiß man, dass er zwar unfassbar hart treten kann, Radfahren kann er aber eigentlich nicht. Die sog. Handling skills gilt es auf jeden Fall als Gegenpol zum Rollentraining in einen Trainingsplan zu integrieren. Die meisten Triathleten sind keine wirklich guten Techniker, Kurvenfahren, Auf- und Absteigen, Wählen des richtigen Bremspunkts und korrektes Schalten sind in der Regel sehr schlecht ausgebildet. Auch auf Top-Niveau, sprich Bundesliga oder sogar ITU World Cup, sieht man Stürze ohne Fremdverschulden, die ausschließlich auf Fahrfehler des Athleten zurückzuführen sind. Das Training auf der Rolle wird dies leider nicht verbessern. Als letzten Kritikpunkt möchte ich das fehlende „Abhärten“ anführen. Viele Triathleten fahren erst bei Temperaturen >12 Grad auf der Strasse und dann auch nur bei schönem Wetter. Triathlon ist und bleibt eine Outdoor-Sportart, man ist also den Witterungsbedingungen ausgesetzt. Wer nur bei Top-Bedingungen auf dem Rad sitzt, wird im Wettkampf bei schlechterem Wetter seine Mühe bekommen. Bei solchen Athleten spielt der Kopf dann oftmals im Rennen nicht mehr mit und/oder ihre Radzeiten sind katastrophal, weil sie das Fahren bei widrigen Bedingungen schlichtweg nicht können, da sie es nicht trainiert haben. Radfahren bei einstelligen Temperaturen härtet ab, die „Gesamt-Robustheit“ steigt an. Seltsamerweise liest man bei Athleten, die ihr Outdoor-Training absolviert haben, niemals den Begriff pain cave, bei den Drinnen-Trainieren jedoch fast inflationär. Die Begrifflichkeit pain cave ist für mein Empfinden zu negativ belastet, denn für mich steht der Spaß am Sport immer noch im Vordergrund.

Zwift

Zwift ist DER Trend im Radtraining des Jahres 2017. Spätestens seit Lionel Sanders kennt eigentlich jeder dieses Tool, daher möchte ich gar nicht auf die einzelnen Features eingehen, sondern eher die Besonderheiten im Training, die Vor- und Nachteile erläutern.

 

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Pro

Durch die Animation des Radfahrers in einer virtuellen Welt und dem Verfolgen anderer Sportler vergeht die Zeit des Trainings unglaublich schnell. Einheiten, die ansonsten eher stupide verlaufen sind, werden durch den Einsatz des Games echt kurzweiliger.

Mit dem Spaß kommt die Regelmäßigkeit im Training. Die Regelmäßigkeit gemäß dem von mir seit  13 Jahren gepredigten Begriffs der Kontinuität des spezifischen Reizes führt zum Erfolg. Das „Verabreden“ zum gemeinsamen Trainings auf der gleichen Strecke, sorgt dafür, dass Rollentrainings auch bei schlechter tagesformabhängigen Motivationslage absolviert werden, denn schließlich ist man, wenn auch nur virtuell, verabredet.

Längere Einheiten auf der Rolle, die für frühe Rennen wie Ironman Südafrika oder Neuseeland notwendig sind, können nun auch auf der Rolle nahezu 1:1 absolviert werden.

Kontra

Das Fahren „gegen“ andere Sportler führt leider sehr oft unweigerlich zu einem Wettkampf. Man lässt sich eben ungern abhängen und versucht, selbst im normalen Trainings-Modus, das Hinterrad des Vordermanns zu halten. Die Gefahr, dass man somit immer etwas „am Plan vorbeitrainiert“, ist relativ groß. Wer sich auf besondere Aspekte der Tretbewegung konzentrieren möchte, kann u.U. zu sehr durch die animierte Graphik abgelenkt werden. Das für eine Langdistanz notwendige „Mit sich sein“ kommt eher auch zu kurz. Nur, wer es im Training simuliert hat, sich nicht durch externe Stimuli (Musik, TV oder eben Zwift) durch das Training zu „mogeln“, sondern sich ganz bewusst nur mit sich beschäftigt, wird im Wettkampf die Konzentration hoch halten können.

Ihr seht, Fluch und Segen liegen ganz nah beieinander. Als Fazit möchte ich euch gerne mitgeben, dass nicht nur das Fahren auf der Strasse ODER das Fahren auf der Rolle alleine besser oder effektiver ist. Die alten Lateiner wussten mit dosis facet venenum, dass von allem ein bißchen besser ist als von einer Sache zu viel. Kurzum: der Mix machts und wer beide Elemente, also Strasse und Zwift, bewusst einsetzt, wird sein Radfahren auf ein neues Niveau heben können.

In diesem Sinne

Mario