180g KH pro Stunde? Geht das wirklich?

180 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde im Ironman? – Ein Blick hinter die Schlagzeile

Als bekannt wurde, dass Casper Stornes bei seinem Ironman-Sieg eine Kohlenhydrataufnahme von rund 180 Gramm pro Stunde umgesetzt hat, war die Aufregung in der Triathlon-Szene groß und die Anzahl der Nachrichten, die ich als Coach dazu erhalten habe, steigen quasi ins Unendliche. Die Zahl wirkt gigantisch – fast doppelt so hoch wie die klassischen Empfehlungen von 60–90 g/h, die über Jahre als sporternährungswissenschaftlicher Konsens galten. Doch was steckt wirklich dahinter? Und ist das die neue „magische Zahl“ für alle Age-Grouper und Profis?

Warum 180 g/h so viel erscheinen

Die Sorge vieler AthletInnen ist nachvollziehbar: Der menschliche Darm gilt als limitierender Faktor für die Kohlenhydrataufnahme. Über den klassischen Glukosetransporter (SGLT1) können nur etwa 60 Gramm pro Stunde transportiert werden. Erst durch die Kombination mit Fruktose (über den GLUT5-Transporter) lassen sich die Werte in den Bereich von 90–120 g/h steigern.

180 Gramm liegen also weit über dem, was in Studien bislang als oxidiert – also tatsächlich als Energie nutzbar – nachgewiesen wurde.

Die Grenzen der Wissenschaft

Aktuell existieren keine kontrollierten Studien, die eine tatsächlich oxidierte Menge von 180 g/h eindeutig belegen. Die methodischen Grenzen sind groß: Messungen der Substratoxidation im Labor sind nie 1:1 auf den Wettkampfalltag übertragbar. Bisherige Obergrenzen für nachweisbar nutzbare Mengen liegen eher bei 120 g/h, in Einzelfällen vielleicht etwas darüber.

Stornes’ Zahl ist also weniger ein wissenschaftlich gesicherter Wert, sondern vielmehr ein Erfahrungswert aus der Praxis.

Praxis vs. Theorie

Was Stornes zeigt: Mit Training, Magen-Darm-Adaption und einem abgestimmten Produktmix lassen sich deutlich höhere Aufnahmemengen tolerieren, als viele Athlet:innen glauben. Ob davon aber wirklich alles oxidiert und in Leistung umgesetzt wird – oder ob ein Teil „nur“ durchgeschleust wird, ohne Nutzen für die Muskulatur – bleibt unklar.

Für Profis auf Ironman-Niveau kann ein Risiko eingegangen werden: ein paar Prozent mehr Energie können über Sieg oder Niederlage entscheiden. Für Age-Grouper ist die Kosten-Nutzen-Rechnung jedoch eine andere – gastrointestinale Probleme können das Rennen schneller zerstören als ein leichtes Energiedefizit.

Einordnung für den Alltag

Die Botschaft sollte daher nicht lauten: „Ab sofort 180 g/h für alle!“

Sondern:

• Individuelles Training des Darms ist entscheidend.

• Wer bislang 60–90 g/h verträgt, kann schrittweise höhere Mengen testen.

• Die optimale Strategie hängt von Renndauer, Intensität, Hitze und persönlicher Toleranz ab.

Kritische Fragen: Marketing und Sinnhaftigkeit

Ein weiterer Aspekt darf nicht übersehen werden: Wem nützt die Schlagzeile „180 g/h“ eigentlich?

Sportnahrungshersteller haben ein großes Interesse daran, neue „Benchmark-Zahlen“ zu kommunizieren. Je höher die empfohlene Zufuhr, desto mehr Produkte werden potenziell konsumiert. Gerade weil die wissenschaftliche Evidenz für eine effektive Oxidation von 180 g/h fehlt, stellt sich die Frage:

Handelt es sich hier um eine echte Innovation im Spitzensport – oder eher um geschicktes Marketing, um den Umsatz mit Gels und Pulvern anzukurbeln?

Und noch wichtiger: Ergibt es für AthletInnen mit deutlich geringerem Energiebedarf überhaupt Sinn, solche Mengen anzustreben?

Ein Age-Grouper, der mit 180–200 Watt auf dem Rad unterwegs ist, hat einen ganz anderen Energieumsatz als ein Profi bei 300+ Watt. In diesem Fall könnte ein „Überfüttern“ nicht nur unnötig sein, sondern sogar kontraproduktiv, weil Verdauungstrakt und Immunsystem unnötig belastet werden.

Fazit

Casper Stornes’ Sieg beweist nicht, dass 180 g/h der neue Standard sind. Er zeigt vielmehr, dass individuelle Ernährung, konsequentes Training des Verdauungstraktes und experimentelle Strategien im Spitzensport einen Unterschied machen können.

Für die breite Masse bleibt aber wichtig: Die Wissenschaft kennt bislang keine sichere Bestätigung, dass solch riesige Mengen auch vollständig als Energie ankommen.

Bis dahin gilt: Schrittweise steigern, kritisch bleiben und nicht blind jedem Trend folgen und immer den eigenen Energiebedarf im Blick behalten.

Energiestoffwechsel in der Hitze: Warum wir mehr Kohlenhydrate verbrennen und was das für Training & Wettkampf bedeutet

1. Verschiebung im Energiestoffwechsel: Kohlenhydrate vs. Fette

Bei Belastung in heißer Umgebung verändert sich die Substratnutzung deutlich:

• Mehr Kohlenhydrate: Studien zeigen, dass Athlet:innen bei gleicher absoluter Leistung in der Hitze stärker auf Muskelglykogen und Blutglukose zurückgreifen.

• Weniger Fette: Die Fettverbrennung sinkt, da sowohl die Lipolyse (Fettsäurefreisetzung) als auch die Fettsäureoxidation gedrosselt werden. Gründe sind eine verminderte Durchblutung des Fettgewebes und Hemmungen in den Transport- und Oxidationswegen.

Ursächlich dafür ist unter anderem ein Anstieg der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin, die die Kohlenhydratverbrennung über Glykolyse und Glykogenolyse ankurbeln.

2. Mechanismen hinter der Verschiebung

Mehrere Faktoren erklären, warum sich die Energiebereitstellung in der Hitze in Richtung Kohlenhydrate verschiebt:

• Sauerstoffökonomie: Fettverbrennung benötigt mehr Sauerstoff pro ATP als Kohlenhydratverbrennung. Da Haut und Muskulatur in der Hitze stärker durchblutet werden müssen, ist Kohlenhydratoxidation „effizienter“.

• Carnitin-Hemmung: Durch die erhöhte Azidose infolge gesteigerter Glykolyse steht weniger Carnitin für den Transport von Fettsäuren in die Mitochondrien zur Verfügung.

• Hormonelle Effekte: Höhere Katecholaminspiegel fördern Glykogenabbau und Glukoseaufnahme. Gleichzeitig kann das Insulin bei submaximaler Belastung relativ höher sein und so die Fettmobilisierung zusätzlich hemmen.

3. Folgen für die Leistungsfähigkeit

Die Verschiebung hat direkte Konsequenzen:

• Schnellerer Glykogenverbrauch → frühere Ermüdung.

• Weniger Nutzung der Fettreserven → geringere Ausdauer bei moderat-hoher Intensität.

• Praktische Bedeutung: Eine angepasste Kohlenhydratzufuhr vor und während des Trainings oder Wettkampfs wird in der Hitze noch wichtiger.

4. Anpassung durch Hitzeakklimation

Wiederholtes Training in der Hitze führt zu Anpassungen:

• Die Abhängigkeit von Kohlenhydraten sinkt, die Fettverbrennung verbessert sich wieder (Glykogen-Sparing).

• Verantwortlich dafür sind u. a. ein vergrößertes Plasmavolumen, eine stabilere Kreislaufregulation und eine geringere Stresshormonreaktion.

5. Praktische Implikationen für die Kohlenhydratzufuhr

Daten zeigen, dass der Kohlenhydratverbrauch in der Hitze bei gleicher Leistung ansteigt, insbesondere bei mittlerer bis hoher Intensität.

Soll man deshalb die Zufuhr im Rennen deutlich erhöhen?

• Nein, nicht zwingend.

• Wer hitzeakklimatisiert ist, hat sich auch metabolisch angepasst und benötigt nicht unbedingt mehr Kohlenhydrate.

• Wer nicht akklimatisiert ist, tritt in der Hitze meist weniger absolute Leistung → der Gesamtenergieumsatz ist geringer.

Empfehlung:

• Kohlenhydratzufuhr in der Hitze nicht reduzieren, auch wenn man langsamer fährt.

• Eine moderate Erhöhung um +5–15 g KH pro Stunde kann sinnvoll sein.

6. Physiologische Hintergründe im Detail

Warum steigt die Kohlenhydratnutzung bei nicht akklimatisierten Personen?

1. Adrenalin-Effekt: Hitzestress erhöht die Adrenalinkonzentration, was den Kohlenhydratstoffwechsel stimuliert.

2. Blutflussumverteilung: Mehr Blut wird zur Haut geleitet, weniger zur Muskulatur. Das reduziert den Substrat- und Sauerstofftransport in die Muskeln und fördert die Glykogenolyse sowie den Pyruvat-Laktat-Stoffwechsel.

Zusammenfassung

Bei Belastung in heißer Umgebung verschiebt sich der Energiestoffwechsel zugunsten der Kohlenhydratverbrennung. Hauptursachen sind eine gesteigerte Stresshormonantwort, limitierte Sauerstoffverfügbarkeit, Carnitin-Hemmung und veränderter Blutfluss. Dies führt zu schnellerer Glykogenentleerung und frühzeitiger Ermüdung.

Mit gezielter Hitzeakklimation lässt sich diese Belastung abmildern. In der Praxis bedeutet das: Kohlenhydratzufuhr in der Hitze leicht erhöhen, aber nicht übertreiben.

Quelle: Maunder E, Plews DJ, Merien F, Kilding AE. Exercise intensity regulates the effect of heat stress on substrate oxidation rates during exercise. Eur J Sport Sci. 2020 Aug;20(7):935-943.

 

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