Ausdauertraining ist eigentlich gar nicht so schwer und komplex, wie im Allgemeinen so angenommen. Man bekommt relativ leicht gespiegelt, ob das Training funktioniert, wenn sich die Wettkampfleistung verbessert ohne dabei gleichzeitig die Gesundheit des Sportlers zu ruinieren. Allerdings hat sich in den letzten Jahren mit der Demokratisierung des Wissens eine überwältigende Menge an pseudowissenschaftlichen Begrifflichkeiten etabliert, die die Komplexität und die Prinzipien des Ausdauersports unnötig verkomplizieren.
In den nachfolgenden Zeilen möchte ich das gerne am Beispiel der Trainingsintensitäten oder Zonen aufzeigen.
Mich irritiert zusehends, die Schlagwörter zu interpretieren, die verwendet werden, um eine bestimmte Trainingsintensität zu beschreiben. Hierbei kursieren Begriffe wie Vo2max, Laktatschwelle, Schwelle, FTP, Vlamax, Maximales Laktat Steady State (max Lass), Critical Power, VT1/ VT2 etc.
Es verwirrt, weil eine unterschiedliche Terminologie verwendet wird, um ähnliche Beobachtungen und Phänomene zu beschreiben, aber vice versa ähnliche Begriffe schwadroniert werden, um unterschiedliche Dinge zu benennen. Ein weiterer Fallstrick liegt in der unterschiedlichen Nomenklatur im Englischen und Deutschen. Weitere Unterschiede liegen dabei im Gebrauch der Begriffe in unterschiedliche Sportarten.
(Abb. aus „Triathlon-Erfolg auf der Langdistanz“ Seite 62)
Trainingsbereiche bzw. Intensitätszonen können unterschiedlich (Leistung, Herzfrequenz, RPE etc.) getestet und definiert sein. Folglich interpretieren viele Sportler, Coaches, Journalisten und Blogger diese falsch, verstehen u.U. die dort hinterlegten wissenschaftlichen Prinzipien nicht vollumfänglich oder verwenden die Begrifflichkeiten falsch. Diese alles führt dann zu einer rasanten Verbreitung auf Social Media und Magazinen, was am Ende dazu führt, dass auch ich mich auch immer weiter verwirren lasse, wenn Äpfel mit Birnen verglichen werden. Wenn dann noch der „Norwegian hype train“ mit dem Erfassen unzähliger Metriken und dem exzessiven Messen von Laktat blind nachgeeifert wird und Age Grouper plötzlich beginnen, bei nahezu allen Trainings Laktat zu bestimmen, komm ich aus dem Kopfschütteln nur noch bedingt raus und bin kurz vor einem Schleudertrauma.
Ich habe auch jahrelang den Fehler gemacht und Training ausschliesslich nach metabolischen Kriterien betracht, mir also Tempo/Intensität in Bezug auf den Sauerstoffbedarf angeschaut, also hart nach aerob/anaerob differenziert. Über die Jahre als Coach habe ich immer mehr verstanden, dass dies nur ein kleiner Teil zur Beurteilung von Belastung sein kann. Ich habe immer mehr verstanden, dass Ermüdung durchaus als Emotion gesehen werden kann. Emotionen sind sehr starke Taktgeber, die unser Denken und Handeln beeinflussen. So wird sich nach einem mental anstrengenden Arbeitstag ein Training subjektiv viel härter anfühlen als es auf dem Display des Powermeters angezeigt wird. Für mich stellt Müdigkeit ein biopsychosoziales Phänomen dar, beinhaltet somit komplexe Wechselwirkungen zwischen Körper, Geist und sozialen Faktoren und lässt sich in meiner Vorstellung daher nur schwer mit rein physiologischen Parametern beschreiben. Ich möchte hierbei nicht den Eindruck erwecken, dass ich ein esoterischer Schwurbler bin, der physiologische Gesetzmäßigkeiten in Frage stellt. Diese dienen ganz klar als Grundlage und werden ganz sicher nicht von mir ignoriert. Die Verwendung von bestimmten Trainingszonen zur gezielten Steuerung der Intensität basiert auf der Annahme, dass der Energieumsatz proportional zum Tempo verläuft und das Änderungen innerhalb der Sauerstoffaufnahme in Bezug auf Tempoveränderungen unmittelbar und sofort erfolgen. Doch leider ist diese Annahme nicht ganz korrekt. Wir können viel mehr die zeitliche Reaktion der Sauerstoffzufuhr zur Arbeitsmuskulatur bewerten. Diese sog. Vo2-Kinetik sagt aus, wie ökonomisch ein Athlet ist, welche Menge an Fetten und Kohlenhydraten er anteilig verstoffwechselt und wie schnell er wahrscheinlich innerhalb einer bestimmten Intensität ermüdet. Indirekt können wir Rückschlüsse bezüglich einer Muskelfaserverteilung (Fast und Slow Twitch) ziehen.
Für mich ist es wichtig, Zusammenhänge so weit runterzubrechen, dass sie leicht verständlich sind und in der Sportpraxis leicht anwendbar sind. Von daher würde ich mir statt Begriffen wie GA2, Zone 3 oder Schiess-mich-tot eher wünschen, ganz banale Vorgaben zu machen, wie bspw.:
easy ( Grundlagentempo, dass ganztägig aufrechterhalten werden kann)
mittel (Tempo, dass 3-5h generiert werden kann bei entsprechender KH-Aufnahme)
hart (Tempo, dass 30-60min realisiert werden kann)
sehr hart ( beschreibt ein Tempo, dass max 2-3min realisiert werden kann)
Für mich als Coach stellt sich ausschliesslich die Frage, wie einen Sportler erfolgreicher und schneller machen kann? Ich denke dabei nicht darüber nach, wie ein bestimmtes Training die VO2max erhöht, die Laufökonomie oder das Tempo an der Laktatschwelle verbessern kann. Ich beschreibe eher selten Sessions mit spezifischen physiologischen Begriffen, es sei denn physiologische Parameter wurden direkt gemessen oder die Verwendung physiologischer Deskriptoren verbessert das Verständnis eines Athleten dafür und er kann die Intention des geplanten Trainings besser begreifen und umsetzen, was aber in den seltensten Fällen so ist, sondern eher für weitere Verwirrung sorgt
Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster und behaupte, dass wenn wir über den Hintergrund und den Zweck eines Trainings in allein metabolischer Hinsicht sprechen, Training nicht vollumfänglich verstanden haben und dass eher darauf hin deutet, dass dies typischerweise durch fehlendes Verständnis für die Komplexität von Trainingsanpassungsprozessen geschieht. Diese Prozesse wirken über molekulare und zelluläre Ebenen hinweg. Unterschiedlichste Gewebe- und Organsysteme spielen dabei eine Rolle, einschließlich kognitiver Prozesse innerhalb des Gehirns. Da diese komplexen Zusammenhänge zwischen Geist, Muskeln und Erschöpfung in Gänze noch nicht wirklich verstanden sind (von Realbedingungen im Feld zu ganz zu schweigen), hat sich die Anwendung der Wissenschaft auf den Ausdauersport verständlicherweise auf die Dinge konzentriert, die am einfachsten zu messen sind, also die „Klassiker“ wie Sauerstoffaufnahme und Blutlaktat.
Nochmals, ich möchte diese Parameter nicht in Frage stellen oder negieren, ich nutze sie ja auch seit Jahren zur Trainingssteuerung, aber eben nicht alleine verbindlich, blind und ohne zu hinterfragen.
Die bestehenden Paper zur Physiologie stammen in der Regel aus sorgfältig kontrollierten Laborumgebungen und werden selten in „real world scenarios“ validiert. Was wir denken, wie wir Intensität wahrnehmen und wie wir handeln, wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst. Dinge wie Wetter, Topographie, Fueling und Stress im Alltag wirken sich auf unsere Gefühle, und unsere Leistung, aus und haben somit direkten Einfluss darauf, wie wir uns physiologisch an das Training anpassen können.
Beim Anwenden bestimmt definierter Trainingsbereiche wird jedoch immer fix angenommen, dass
– während des gesamten Trainings ein konstantes Tempo durchgeführt wird
– das Fueling direkt erfolgt, also gar keine wirkliche Glykogenentleerung stattfindet
– die Bewegungsökonomie während des gesamten Trainings konstant bleibt, also der Energieumsatz von Beginn bis Ende immer gleich bleibt
– Anpassungen für die aerobe Kapazität oder das anaerobe System einer ganz bestimmten Trainingszone unterliegen und es da keine Überschneidungen gibt
In meiner Gedankenwelt würde ich jedoch stark anzweifeln, ob einer dieser Punkte in der Sportpraxis so zutrifft. Die immer noch gedanklich bestehende zu starke Abgrenzung zwischen aerob und anaerob stellt für mich dabei immer noch den größten Knoten im Hirn dar, denn für mich sind das eher fließende Übergänge mit unterschiedlichen Dominanzen innerhalb des Stoffwechsels. Wenn ich jetzt noch den Punkt in Betracht sehe, dass Menschen komplett unterschiedliche Reaktionen auf bestimmte Trainingsformen zeigen, Ermüdung und Erholung nur schwer parametrisierbar sind, erkenne ich auch, dass ein zu starkes Eingrenzen der Trainingsbereiche, basierend auf den herkömmlich eingesetzten Formeln zur Berechnung der Zonen, nicht automatisch eine gezieltere Trainingswirksamkeit, sprich Leistungsentwicklung mit sich bringt.
Beispiel: Ein fiktiver Sportler hat einen GA1-Bereich von 198-229W und GA2 von 230 bis 256. Wo soll der Unterschied liegen, wenn 225 oder 235 Watt gefahren werden? Was soll das am Ende für die Trainingsplanerfüllung bedeuten, sofern der Wattbereich dabei halbwegs im angedachten Bereich liegt? Was soll eine dadurch veränderte Intensitätsverteilung ( Training Intensity Distribution) , wenn sie dadurch von geplanten und vorgegebenen Konzept abweicht, für Konsequenzen haben?
Wäre es daher nicht viel sinnvoller, die Beschreibung des Trainings am Sinn und Zweck sprachlich so zu modifizieren? Also nicht GA2, sondern bspw. 70.3 Race Pace zu schreiben und weniger Zahlenspiele, unnötiges Verkomplizieren und pseudowissenschaftlichen Anstrich zu befeuern?
Ich denke, dass die Umsetzung der Trainingsvorgaben durch Benennen des Zwecks besser erfolgt, als wenn ich stumpf GA2, irgendeinen Wattwert o.ä. benutze, denn für viele Sportler sind das eher abstrakte Begriffe, die sie oftmals nicht klar genug erfassen und somit auch nicht umsetzen können. Wäre es nicht viel sinnvoller, dass SportlerInnen erlernen, wie sich Intensitäten anfühlen können und ob und wie sie Grenzen basierend auf diesen Gefühlen verschieben können als von vorne herein diese Potenziale durch eine Restriktion in Form von fixen Zahlen nicht auszuschöpfen?
(Abb. aus “Triathlon-Erfolg auf der Langdistanz” Seite 64)
Nochmals, ich bin wahrlich kein Wissenschaftsleugner und verstehe die physiologischen Gesetzmäßigkeiten von Training.
Ich möchte eher dafür plädieren, dass wir diese Erkenntnisse sinnvoll und zielgerichtet einsetzen und nicht blind jedem Trend folgen. Man sieht immer wieder, dass „neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft“ wie die Sau durchs Kaff getrieben werden. Strömungen von HIIT, Polarized Training bis „Zone 2 is the latest shit“ sind einige Beispiele dafür. Man begibt sich dabei immer wieder auf die Suche nach dem „besten Trainingszonensystem“, der „besten Training Intensity Distribution“ statt wirklich zu verstehen, was die Anforderungen des jeweiligen Wettkampfformats sind und wie man diese im Training adressieren kann.
Mache, net denke!!