COVID-19 hält die Welt fest im Griff. Jetzt, wo die öffentlichen Schwimmbäder alle geschlossen sind, bekommen viele Sportler Panik, ihre Leistungsfähigkeit im Schwimmen zu verlieren. Es ist höhere Gewalt und alle Sportler sind davon betroffen, man hat zwangsläufig keinen Nachteil gegenüber anderen Sportlern.
Ganz im Gegenteil, man kann die Zeit nutzen und über das Trockentraining in Form des Zugseiltrainings dezidiert an seinen Schwächen arbeiten ohne dabei das Haus verlassen zu müssen.
Daher hier aus gegebenem Anlass ein Artikel aus dem Jahr 2017 zum Thema Zugseil von mir:
Zugseiltraining
(Mario Schmidt-Wendling 23.11.2017)
Das Zugseiltraining bietet sich in Phasen ohne Zugang zu Wasserflächen (Geschäftsreisen, Schwimmbadschließungen etc.) als Trockentraining an, kann aber durchaus auch ins normale Schwimmtraining mit eingebaut werden.
Hierbei sollte man zwischen 4 grundlegenden Einsatzzwecken unterscheiden:
- Warm- up
Bei einigen Wettkämpfen ist aus logistischen Gründen kein Einschwimm-Areal nutzbar. Um die schwimmspezifische Muskulatur auf die nachfolgende Wettkampfbelastung vorzubereiten, kann das Zugseil den Effekt der Vorbereitung und Erwärmung übernehmen. Ein Theraband hat hierbei gegenüber einen vollwertigen Zugseil mit integriertem Paddle den Vorteil des geringen Packmaßes, passt also leichter in den Wettkampfrucksack. Aber auch zur Aktivierung vor dem Routine-Schwimmen im Alltag (sowohl Becken als auch Freiwasser) bietet das Theraband eine Palette an Übungen.
2. Techniktraining
Für die meisten Spät- oder Quereinsteiger im Triathlon, die nicht im Kindes- oder Jugendalter das Kraulen „mit der Muttermilch aufgesogen haben“, stellt das Anstellen des Unterarms, das Wasserfassen, der High elbow catch oder auch Ellenbogenvorhalte genannt, die größte Herausforderung in Sachen Technik dar. Wenn dann oft von Schwimmtrainern der Hinweis „hoher Ellenbogen“ falsch interpretiert wird und die Überwasserphase, also die Phase des Rückholens des Armes, gedanklich beim Schwimmer in den Focus gerät, verschlimmert sich das Ganze weiter. Ich gehe von mind. 60% aller Triathleten aus, die Hoher Ellenbogen eben auf die Überwasserphase und nicht auf das Anstellen des Unterarms unter Wasser beziehen!!
Das Zugseiltraining stellt eine sehr gute Möglichkeit dar, diesen motorisch komplexen Vorgang der Ellenbogenvorhalte, den es im Alltag in keiner vergleichbaren Bewegung gibt, zu erlernen. Fällt das Medium Wasser und somit auch der Atemstress weg, hat der Sportler bessere Möglichkeiten, die Bewegung visuell zu kontrollieren bzw. entsprechend zu erlernen. Ein Spiegel frontal vor dem Schwimmer kann die Selbstkontrolle über die Augen erleichtern.
3. Verbesserung der Kraftfähigkeiten
Um per Definition vom Training der Kraft bzw. der Kraftausdauer zu sprechen, müssen ca. 50% des maximal zu überwindenden Widerstands bewegt werden. Da aber ein Zugseil diesen Widerstand nicht erzielen kann, sollte man eher (analog zu den K3-Einheiten auf dem Rad) vom kraftorientierten Ausdauertraining sprechen. Am Ende ist es aber eigentlich egal, welchen Namen das Kind trägt, hochwirksam für das Schwimmen im Wasser ist die Methode des Zugseiltrainings mit Focus Kraftausdauer/Ausdauerkraft allemal.
4. Herz-Kreislauftraining
Ein Herz-Kreislauftraining mit entsprechend hoher Wiederholungszahl und niedrigem Widerstand ist in meinen Augen eher nur dann zu empfehlen, wenn über mehrere Wochen kein Zugang zu Schwimmbädern oder Seen möglich ist. Ich denke, dass ein zu niedriger Widerstand das korrekte Ansteuern der Kraul-Muskulatur nur bedingt fördert, auf der anderen Seite sogar kontraproduktiv wird, wenn man eben durch die lange Seriendauer den Focus auf die Technik verliert. Als Triathlet hat man den großen Vorteil, dass man Transfereffekte für Stoffwechsel und Herz-Kreislaufsystem aus den anderen beiden Disziplinen generieren kann, sprich diese Cardiovariante durchaus vernachlässigen kann.
Equipment
Das oben bereits angesprochene Theraband stellt die einfachste Art des Zugseils dar. Wer das Trockentraining nicht nur als Warm-up, sondern als Add-on in sein Training integrieren möchte, ist mit einem System was mit einer Handschlaufe oder noch besser mit einem Paddle ausgestattet ist, besser bedient. Diese Systeme deutlich robuster, das Gummi reißt entsprechend seltener und gerade ein Paddle führt zu technisch besseren Ausführung, weil die Hand offen bleibt und es nicht zu einem sog. Faustschluss kommen kann. Alle 3 Modelle sind in unterschiedlichen Widerstandsstärken erhältlich, doch hierbei liegt ein großes Problem. Viele Athleten setzen zu starke Bänder gemäß dem Prinzip „no pain no gain“ ein, die eine technisch saubere Technik nicht zulassen. Ich empfehle, grade zu Beginn, ein Band zu wählen, dass der Sportler bei einer Serie von 30 Wiederholungen auch in den letzten 10 Wiederholungen grade noch so durchziehen kann. Da für mich beim Zugseiltraining das Hauptaugenmerk auf dem Erlernen des korrekten High elbow catch liegen sollte, gibt es ein weiteres Argument gegen den Einsatz von sehr schweren Bändern. Beim Einsatz von mittleren Bändern kann ich je nach Einsatzzweck durch den Abstand der Standposition zum Befestigungspunktes des Zugseils den Widerstand variabler gestalten.
Hilfreich an der Stelle ist es, wenn man sich eine Markierung auf dem Boden macht, um den korrekten Abstand zu fixieren.
Ausführung
Startposition:
Ich empfehle das Band/Seil ca. 10cm höher als Hüfthöhe zu befestigen. Kommt der Zug von zu weit oben, so werden nicht korrekt die Muskelpartien angesprochen, die man beim Schwimmen in horizontaler Position einsetzt. Ist die Befestigung zu weit unten, so stellt das für viele Sportler ein Problem im unteren Rücken dar, da sie diese Position nur bedingt halten können.
Ich bevorzuge einen Standposition mit beiden Füßen auf einer Ebene, eine Schrittstellung ist aber ebenfalls möglich, die Knie leicht gebeugt halten. Der Oberkörper wird nach vorne geneigt, sodass der Rücken in der sog. line of pull, also in der Zugrichtung des Seils ist. Wie bereits oben angesprochen wird das Seil nicht mit den Fingern umklammert, die Hand muss offen bleiben und in Verlängerung des Unterarms ohne Abknicken des Handgelenks gehalten werden.
Zug:
Die Fingerspitzen zeigen während des gesamten Zugs nach unten, der Ellenbogen bleibt oben und das Seil wird bis zur vollständigen Streckung des Armes durchgezogen.
Ich bin kein großer Freund des einarmigen Ziehens, bevorzuge eher den Doppelarmzug, denn beim Einarmzug ist meiner Meinung nach eine Aktivierung des Latissimus weniger präzise. Nach der Streckung wird das Seil kontrolliert (!!!) zurückgeführt. Man sieht immer wieder Sportler bzw. Programme, die das Zugseiltraining gemäß der einzelnen Zugelemente einteilen, also z.B. den Focus auf Catch legen, also wirklich nur das erste Drittel des Zugs durchführen oder den Focus auf die hintere Druckphase legen. Ich bevorzuge eher das Ziehen über die gesamte Zuglänge und verspreche mir dadurch ein besseres „Einschleifen der Bewegung“ ins motorische Gedächtnis. Man kann durchaus die Gedanken auf ein Segment der Bewegung legen, aber dabei idealerweise immer über die komplette Amplitude ziehen. Im Internet kursieren immer wieder Bilder von Athleten, die das Zugseiltraining auf einem instabilen Untergrund stehend absolvieren, weil sie glauben, man könne das ganze „functional“ aufmöbeln. Davon würde ich eher Abstand nehmen und mich mit festem Kontakt zum Boden ausschließlich auf die korrekte Zugbewegung konzentrieren. Gegen ein Training der Propiozeption und des Gleichgewichts spricht überhaupt nichts, nur verknüpfen sollte man diese beiden Trainings nicht unbedingt.
Hier nochmals die Hauptpunkte zusammengefasst
- grader Rücken
- Knie leicht gebeugt
- Fingerspitzen zeigen nach unten
- Handgelenk einsteifen, Hand als Einheit mit Unterarm einsteifen
- Ellenbogen hoch!
- bis zur vollständigen Streckung durchziehen
Vorbereitend würde ich einige mobilisierende Bewegungen vorschalten, also Armkreisen, Hampelmann etc., um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Da das Training mit dem Zugseil wie das Kraulschwimmen selbst eine Sportart mit innenrotierender Bewegung der Schulter darstellt, empfiehlt es sich das Training mit Übungen für die Aussenrotatoren zu beschliessen, um ein Ungleichgewicht in der Schulter zu vermeiden und Verletzungen vorzubeugen.
Beispiel-Programm:
5-10min lockeres Aufwärmen
5-8 Serien mit je 25-40 Wiederholungen und einer Pause von je ca. 30-40sec
im Anschluß
je 3 Serien pro Seite mit je 10 Wiederholungen Theraband Aussenrotatoren.
In Phasen mit wenig bis keinem Zugang zum Wasser kann solch ein Programm bis zu 5 mal pro Woche absolviert werden, dabei den Widerstand ändern, Focus auf die einzelnen Segmente der Bewegung verteilen und auch mit unterschiedlichen Bewegungstempi arbeiten, um eine hohe Variation zu erzielen. Ist ein normales Schwimmtraining möglich, so würde ich das Zugseiltraining auf 2 bis höchstens 3 Einheiten pro Woche als Add on begrenzen.
Beispiel-Programm Warm-Up:
5-10min lockeres Aufwärmen
3-4 Serien mit je 12-15 Wiederholungen und einer Pause von 45sec Dauer
In diesem Sinne- happy pulling und Ellenbogen hoch
Mario