Regeneration und Stress objektiv messen mit der HRV-Methode
Triathlon und insbesondere Ironman stellt eine besondere Herausforderung für den Athleten, aber auch für den Trainer dar.
Training ist bewußt provozierter Stress, der den Körper aus seinem Gleichgewicht, der sog. Homoöstase bewegen soll. Der Trainingsreiz bzw. die Leistungssteigerung kann man als Reaktion auf diesen Stress verstehen.
Hat ein Sportler neben dem physiologischen Stress durch das Training zusätzlich noch weitere „Baustellen“ zu verarbeiten, kann u.U, keine adäquate Stressadaptation mehr stattfinden. Solche sog. externen Stressfaktoren können sein:
- existenzieller Stress
- finanzieller Stress
- Beziehungsstress
- Wetter
- etc.
Die meisten Age-Grouper müssen neben Familie, Beruf, sozialen Verpflichtungen noch eine ganze Menge Training unter einen Hut bekommen. Das Training wird somit zum Ritt auf der Rasierklinge, eben immer am oberen Rand dessen, was der Organismus ohne etwaige Nachteile verarbeiten kann. Jetzt kommt jedoch erschwerend hinzu, dass unter uns Triathleten leider zu oft nach dem Prinzip „ viel hilft viel“ verfahren wird. Wer mehr, länger und härter trainieren kann, ist im Kreise seiner Sportkollegen oft der Hecht im Karpfenteich. Der typische Ironman-Athlet ist zudem meist Spätberufener, hat oft über mehrere Jahre keinen Sport gemacht, Familie und Karriere standen im Vordergrund. Das führt sehr oft dazu, dass Sportler sich bzgl. ihres Regenerationsstatus und ihrem subjektiven Belastungsempfinden vollkommen falsch einschätzen.
Da ich die Problematik bereits vor einigen Jahren erkannt hab, hab ich dieses Sheet zur subjektiven Selbsteinschätzung 2007 erstellt. Wenn man am jeweiligen Tag, sich bei 3 dieser 5 Parameter schlechter als 5 (1 gut, 5 sehr schlecht) einschätzt, sollte man das Training reduzieren bzw. streichen. Doch leider funktioniert diese Tabelle auch nur bedingt, da man sich ja selbst einschätzen muss und sich eben selbst ganz wunderbar „bescheißen“ kann.
Es braucht also viel mehr ein System, um Regeneration, Stress und „Readiness“ objektiv zu messen. Hierzu bietet sich das Messen der Herzraten-Variabilität, kurz der HRV, an.
Ich hab diese HRV bereits Ende der 90er-Jahre im Rahmen meines Sportstudiums kennengelernt, damals aber nicht sonderlich beachtet, da ich mit Mitte 20 „voll im Saft“ gestanden hab und das Thema Regeneration in meinen Augen nur was für alte Leute war. Einige Zeit später hab ich durch meinen damaligen Sponsor Polar den damals ersten Pulsmesser mit gleichzeitiger HRV-Messung , den S810i bekommen und erstmals Auswirkungen des Trainings und des Alltag-Stress auf diese HRV beobachten können.
Als Coach hab ich vor Jahren mit restwise.com experimentiert. In diesem System sollten die Sportler subjektive Angaben zur Schlafqualität, Ruhe-HF, Farbe des Urins etc. angeben. Nach Eingabe dieser Parameter, hat die Software dann den Erholungsstatus mittels Algorithmus ermittelt. Die Fehlerquelle hierbei lag in der subjektiven Einschätzung des Athleten. Wie bereits eingangs erwähnt, haben viele Athleten leider diese „gestörte“ Selbsteinschätzung in Sachen Körperwahrnehmung.
Mittlerweile ist die Studienlage extrem gut und die Auswirkungen der HRV auf Stress und
Leistungsentwicklung umfangreich belegt. Wer sich da etwas in Tiefe mit dem Thema auseinandersetzen möchte, findet über Google Scholar viele Quellen. Aus Erfahrung kann ich nur sagen, dass man sich da echt verlieren kann!
Doch was ist denn diese HRV eigentlich?
Bereits im alten China hat man beobachtet, dass das Herz nicht immer gleichmäßig schlägt, es also Variationen im Abstand zwischen zwei Herzschlägen gibt. Dieser zeitliche Abstand reguliert der menschliche Organismus autonom angepasst an die jeweiligen Bedürfnisse. Körperliche Beanspruchung oder Stress führen zu einem Anstieg der Herzfrequenz, die in Ruhe i.d.R. wieder auf das Ausgangsniveau absinkt. Je „frischer“ ein Sportler ist, desto eher zeigt sich die Fähigkeit der Anpassung an die Stressfaktoren Training und Alltag mit einer großen Variabilität des zeitlichen Abstands zwischen zwei Herzschlägen. Ist der Athlet jedoch permanent zu sehr gestresst, sei es durch Training oder andere der o.g. Faktoren oder eine Kombination aus beidem, reduziert sich diese Anpassungsfähigkeit resultierend in einer geringeren Variabilität der Herzschläge.
Physiologie
Zum besseren Verständnis ein kurzer Abriss der relevanten Zusammenhänge:
Die Kontraktion des Herzens wird autonom, also unterbewusst und nicht willentlich durch einen Impuls des sog. Sinusknotens am Herzen hervorgerufen. Hierfür verantwortlich ist das autonome Nervensystem.
Man unterteilt dieses in einen sympathischen Anteil, der als aktivierend oder als „fight or flight“-Anteil bezeichnet wird. Dieser Sympathikus ist für die Taktgebung am Herzen verantwortlich. Er sorgt für eine Blutdruck- und Herzfrequenzsteigerung, Pupillenweitstellung am Auge etc.
Der Gegenspieler hierzu ist der Parasympathikus , der vom Vagus-Nerv angesteuert wird. Dieser parasympathische Teil des Nervensystems steuert die Funktionen der inneren Organe, gilt als Ruhe- oder Erholungsnerv und dient der Erholung,dem Aufbau körpereigener Reserven, der Verdauung, Blutdrucksenkung etc..
Wenn man sich diese beide Gegenspieler betrachtet, kann man sich schon denken, in welchem Bereich man eher Vorteile der Leistungsentwicklung vermuten wird. Man möchte aber dennoch auch im sympathischen Teil stark und resistent sein. In jeder einzelnen Millisekunde arbeiten diese beiden Systeme miteinander, um den Organismus überhaupt am Leben zu halten. Die Balance von sympathischem und parasympathischem Teil ist ein ganz natürlicher und gesunder Vorgang, der permanent stattfindet.
Dominanz des sympathischen Teils
Dieser Zweig des vegetativen Nervensystems sorgt für einen Anstieg des Blutzuckerspiegels, des Blutdrucks und der Herzfrequenz, also alles Dinge, die wir als Triathleten im Wettkampf und Training zur Leistungsentfaltung brauchen.
Problematisch wird es jedoch, wenn ein Athlet zu viel Zeit im sympathischen Teil verbringt, weil dadurch die elementare Regeneration und daraus in sekundären Instanz dann auch die Leistungsentwicklung nachhaltig gestört wird. Wenn dieser Zustand dauerhaft anhält, kann man von chronischem Stress sprechen. Dieser Status führt dann zu einer beschleunigten Alterung, Knochendichte- und Muskulaturverlust, Gedächtnisverlust etc.
Auslöser für diesen Status können inadäquate Trainingsbelastungen („epische Monstereinheiten“), Schlafmangel, Alltags-Stressfaktoren (siehe oben), Lebensmittel mit hoher Entzündungsdisposition etc. sein.
Dominanz des parasympathischen Teils
Um ein hohes Maß an Gesundheit und Leistung zu entwickeln, ist es notwendig, dass beide Teile des vegetativen Nervensystems gut entwickelt sind. Steve Tarpinian, einer meiner Mentoren in Sachen Coaching, pflegte immer zu sagen: „ The beauty is in the balance“
Genauso verhält es sich auch in Sachen Nervensystem, soll heißen, dass wir unser sympathisches System „anknipsen“ müssen, wenn wir es für die Belastungen im Sport brauchen, aber es direkt danach dann auch „ausschalten“ können und uns im regenerativ hilfreichen parasymapthischen Anteil befinden. Ähnlich wie bei der Dominanz des „fight and flight“-Anteils ist es durchaus auch möglich einen „Überschuss“ an parasympathischer Aktivität zu erlangen. Dazu muss der Athlet über einen langen Zeitraum im Übertrainingszustand sein, so dass der Organismus den Sympathikus „abschaltet“, um größere Schäden zu vermeiden. Andere Möglichkeiten liegen darin, dass ein Athlet einen aufkeimenden Infekt in sich trägt oder in Rekonvaleszenz nach Krankheit ist.
Troubleshooting
Geraten diese beiden Teile zu sehr aus der Balance, sollte der Sportler in fast allen Fällen Ruhe walten lassen, sprich, das Training im Umfang und/oder Intensität reduzieren bzw. als worst case pausieren.
Die Bedeutung der Atmung und ihr Einfluß auf die HRV
Die menschliche Atmung ist eng verwoben mit dem Herz-Kreislauf-System, der Nervensystem und dem Gehirn. Beim Prozess des Einatmens steigt die Herzfrequenz leicht an, beim Ausatmen sinkt diese leicht. Dieser zyklische Ablauf sorgt für ein Gleichgewicht zwischen Leistungsbereitstellung und Regeneration.
Hieraus ergibt sich ein weiterer Nutzen der HRV-Messung, denn wirklich tiefe Atemzüge in den Bauch unter Einfluss des Zwerchfells (Diaphragma) sorgen für eine dramatische Verbesserung des autonomen Nervensystems. Diese Form der Atmung verbessert die Hirnleistung, sorgt für verbesserte Durchblutung, Reduktion von muskulären Verspannungen etc.
In unserer heutigen Gesellschaft kann man jedoch beobachten, dass das Zwerchfell durch das alltägliche Sitzen in seiner Funktion eingeschränkt ist, nicht mehr korrekt kontrahiert und in seinem Querschnitt sukzessive abnimmt. Dieses Zwerchfell ist der wichtigste Muskel und wird gerade beim Schwimmen extrem gefordert, weil man hierbei gegen einen erhöhten Widerstand ins Wasser ausatmen muss. Ein weiterer zu beobachtender Punkt ist, dass aus ästhetischen Gründen der Bauch eingezogen wird, um möglichst schlank auszusehen. Durch das Einziehen der Bauchmuskulatur, findet lediglich eine Brustkorbatmung statt, die die bereits genannten Benefits durch korrekte Form der Atmung nicht zulässt. Für Sportler mit ineffizienter Atmung kann das Besuchen von Yoga-Klassen durchaus hilfreich sein, um ein Bewusstsein für korrektes, tiefes Zwerchfellatmen zu entwickeln.
Praxis
Man unterscheidet bei der HRV in Langzeit- und Kurzzeitmessung. Letztere ist für den tagtäglichen Gebrauch eher praktikabel. Hierzu wird zwischen 1 und 5min in Ruhe am Morgen in liegender Position gemessen. Um möglichst entspannt zu sein, sollte man die Messung erst nach dem Toilettengang am Morgen und vor dem Frühstück und Kaffee durchführen. Um eine valide Aussage zum Stresslevel zu erzielen, sollte man täglich diese kurze Messung durchführen, denn nur über den Langzeitverlauf über Wochen und Monate kann man die korrekten Rückschlüsse bekommen.
Zur Auswertung bieten sich mehrere Modelle an, die wahrscheinlich umfangreichste Software, die sich auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung eignet, ist Kubios, die es als Freeware zum Gratis-Download gibt.
Tarvainen M.P., Niskanen J.P., Lipponen J.A., Ranta-aho P.O. & Karjalainen P.A. (2014). Kubios HRV: Heart Rate Variability Analysis Software. Comput Meth Programs Biomed, 113(1), 210-220
Darüber hinaus gibt es unzählige weitere Systeme, Apps, Soft- und Hardwareanbieter auf diesem Gebiet.
Fazit
Die HRV stellt für Sportler mit schlechter Selbsteinschätzung ein objektives Tool dar, um Übertraining zu vermeiden und einen geradlinigen, ununterbrochenen Formaufbau zu garantieren. Ich hab mich sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt, bereits mehrere Jahre Erfahrungen und Werte gesammelt und bin absolut davon überzeugt. Das System hatte jahrelang keinen guten Ruf in Deutschland und wurde als esoterische Spinnerei verschrieen, zumal die Forschung lange Zeit auf der Stelle getreten hat. Durch die EKG-genauen HF-Gurte der namhaften Hersteller (.z.B Wahoo TICKR) wurde die Messung der HRV deutlich preiswerter und somit auch einem breiteren Publikum zugänglich.
Wenn man dann noch einen Coach hat, der die ermittelten HRV-Werte richtig interpretieren kann und den bestehenden Trainingsplan basierend auf den HRV-Werten tagesgerecht anpasst, dann steht dem Erfolg im Triathlon (fast) nichts mehr im Wege.
Die Integration der HRV-Messung ins Triathlon-Training und die tagesgenaue Einschätzung des Athleten kann man somit durchaus als den Porsche unter den Trainingsplankonzepten bezeichnen.
Das Periodisierungskonzept von sisu-training
Das Periodisierungskonzept von sisu-training
In den meisten Bücher und Internet-Plattformen zum Thema Triathlon-Training wird das Periodisierungskonzept nach Tudor Bompa angeführt. Demnach wird das Trainingsjahr in mehrere Phasen (Base, Build, Competition etc.) unterteilt, die alle eine vorab definierte Dauer, Intensität und Inhalte mit sich bringen. Dieser Aufbau bringt mit sich, dass man zu Beginn des Trainingsjahres ausschliesslich lang und ruhig trainiert, also die Grundlagenausdauer schult. Nach dieser Phase wird dann das Volumen etwas reduziert und es kommt Intensität hinzu, um sich auf die Wettkampfbelastungen sukzessive vorzubereiten.
Ich habe dieses Konzept der Periodisierung als Athlet und auch in den Anfangsjahren als Coach übernommen, bin jedoch seit einigen Jahren davon überzeugt, dass es nicht praktikabel ist. Dieses Konzept stammt aus den 50er- Jahren, aus einer Zeit, in der die Sportwissenschaft noch in den Kinderschuhen steckte. Als Sportler, sowohl als Triathlet als auch während meiner Zeit als ambitionierter Amateur- Radfahrer und später Profi, bin ich in genau in diese Falle getappt. Meine Saison hat in der Regel im November nach einer Phase mit kompletter Inaktivität begonnen. Ich hab mich damals nahezu zu 100% darauf konzentriert, im Grundlagenbereich zu trainieren. Als Radfahrer hab ich in einigen Jahren von November bis zu den ersten Rennen Ende Feburar/Anfang März 11-12000km ausschliesslich im GA1-Bereich trainiert. Gerade im gemeinsamen Training mit Sportler, die noch die alte „DDR-Schule“ mitgemacht haben, durfte die Herzfrequenz nie aus dem GA1 heraustreten. Seltsamerweise wurde ich im Frühjahr gnadenlos in den Rennen abgehängt, obwohl ich sehr fleissig und diszipliniert im Winter gearbeitet hatte. Mir hat schlichtweg das Tempo gefehlt und ich bin durch das stumpfsinnige Sammeln der km immer langsamer und träger geworden.
Als Trainer bin ich dann später ins Grübeln gekommen, als ich viele Trainingstagebücher von Athleten einsehen konnte. Das dürften mittlerweile an die 500 sein, so dass ich da einen guten Querschnitt beurteilen kann. Mir ist dabei aufgefallen, dass sich Verletzungen von Sportlern zu zwei Jahreszeiten extrem häufen. Zum einen gegen Ende der Saison, wenn der Athlet einfach „nichts mehr im Tank“ hat und zum anderen (und für diesen Artikel viel interessanter) dann, wenn der Athlet seine Base-Phase abgeschlossen hat und plötzlich Intensität ins Training einfliesst. Bei den meisten Athleten ist das Ende Februar/ Anfang März der Fall.
Der Hauptgrund für diese Verletzungshäufigkeit liegt darin, dass die Athleten biomechanisch und motorisch schlichtweg nicht in der Lage sind, sich schnell zu bewegen. Das „Rumlullen“ im GA1macht die Sache nicht wirklich besser. Wenn man dann als Aussenstehender bei einem Strassenlauf im Frühjahr beiwohnt, wundert man sich nicht, dass sich genau zu diesem Jahreszeitpunkt Sportler verletzen. Gerade das Laufen, mit seiner immens hohen orthopädischen Belastung, braucht einen besonderen Focus auf Verbesserung/Ökonomisierung der Motorik.
Mir ist das Prinzip der Aufteilung des Trainingsjahres schlichtweg zu starr. Als Trainer kann ich nicht antizipieren, ob ein Sportler gesund bleibt und ob das Wetter im hiesigen Winter ein ordentliches Training zulässt. Was passiert, wenn der Sportler in der achten Woche seiner Base-Phase krank wird. Fehlt im dann Training? Muss dann die Base-Phase verlängert werden? Viele Sportler ,und leider auch Trainer, haben ein zu technisches Verständnis von Training. Sie denken, dass sich die Leistungsfähigkeit ausschliesslich nach Formeln steigern lässt und propagieren eben diese jeweils in der entsprechenden Phase anzuwenden. Doch weit gefehlt, denn jeder Mensch reagiert nun mal anders auf Trainingsreize, daher macht das Festlegen der bestimmten Trainingsabschnitte für mich überhaupt keinen Sinn. Training ist ein dynamisches Konstrukt, dass nicht nur mit Zahlen zu erklären ist. Leider entwickeln sich im Triathlon immer mehr Zahlen-Nerds, die eine ganz entscheidende Fähigkeit verloren haben, nämlich das Reflektieren und Spüren ihres eigenen Körpers und die mit dem Training stattfindenden Veränderungen! Viele Athleten trainieren nach einem 2:1- oder 3:1-Rhythmus, also 2 oder 3 aufsteigende Belastungswochen gefolgt von 1 Woche Entlastung. Für viele ist dieses Prinzip wie in Stein gemeißelt, ungeachtet der Tatsache, dass sie ggf. besser beraten wären, die Ruhewoche dem aktuellen Befinden und den Witterungsbedingungen anzupassen. Hierbei ist es dann egal, ob der Sportler in der zweiten von 3 Belastungswochen schon „breit“ ist, die 3. Woche muss durchgezogen werden, denn sonst passt das Schema nicht und der ganze Phasen-Bullshit gerät aus den Fugen.
Die Entwicklung der Grundlagenausdauer ist im Vergleich zur Steigerung der Kraft und der Geschwindigkeit recht leicht zu verbessern. Man braucht i.d.R. 6 Wochen, um diese Fähigkeit auf Top-Niveau zu bringen. Die Grundlagenausdauer ist für mich immer noch der Erfolgsfaktor auf der Langdistanz und muss primär im Focus stehen, doch eben zur rechten Zeit. Macht es daher Sinn, eben diese Grundlage im November/Dezember zu schulen, wenn mein Hauptwettkampf im Juli/August liegt? Nein! Macht es Sinn, bei schlechtem Wetter und fehlendem Tageslicht in der nördlichen Hemisphäre in den Wintermonaten lange, ruhige Grundlageneinheiten schwerpunktmäßig zu trainieren? Nein!
Viele Athleten, so auch ich als damals aktiver Sportler, richten sich damit regelrecht zu Grunde. Großes Volumen führt zu einer katabolen Hormonlage. Ausdauertraining führt nach ca. 90min zu einem Abfall von Testosteron und zu einem Anstieg des Stresshormons Cortisol. Wenn jetzt ausschliesslich im GA1-Bereich trainiert wird, fällt der körpereigene Testosteronspiegel immer weiter ab. Wir brauchen jedoch Testosteron, um die im Training zerstörten Gewebe wieder zu reparieren. Ist das Verhältnis von Testosteron und Cortisol nachhaltig in Schieflache, hat der Sportler eine verzögerte Regenerationszeit, nur geringe Kraftzuwächse und eine gestörte Fettverbrennung, denn das Cortisol sorgt dafür, dass eben dieser Fettmetabolismus in reduziertem Maße stattfindet. Das Paradoxe daran ist, dass das alles Faktoren sind, die man in einer Phase mit viel Volumen im Training nicht wirklich gebrauchen kann. Wenn man bedenkt, dass man den Fettstoffwechsel trainieren möchte, aber die Fettverbrennung signifikant ausbremst, sollte man schon ins Grübeln geraten. Wenn man zu lange „katabol“ ist, führt das darüber hinaus noch zu folgenden Symptomen:
- allgemeiner Leistungsabfall
- zunehmende Müdigkeit
- abnehmende Lust am Sex
- Konzentrationsstörungen
- erhöhte Verletzungsanfälligkeit
- Gewichtszunahme
- Blutzuckerschwankungen und gestörte Insulinreaktion
Es braucht also einen Gegenpol im Training, der die katabole Hormonlage zu Gunsten des Testosterons, also in eine anabole Situation, verändert. Solche Trainingsformen sind:
- Krafttraining (im Studio und disziplinspezifisch)
- Hügelsprints
- 6sec-Sprints auf dem Rad
- Plyometrische Übungen
- 25er- all out-Sprints beim Schwimmen
Weitere negative Begleiterscheinungen des herkömmlichen Konzepts sind:
- max 2. Höhepunkte pro Saison planbar
- geringer Stimulus für fortgeschrittene Athleten, da das Training nicht polar genug ist, sondern die Inhalte (Umfang und Intensität) zu sehr „wischiwaschi“ sind
So, nun mal Butter bei die Fische. Hier meine Ideen zur anderen Herangehensweise.
Athleten, die nicht gerade in ihrer ersten Saison im Triathlon unterwegs sind, sollten zu Beginn des Trainings, den Focus auf Verbesserung der Bewegungsausführung, Kraft, Beweglichkeit und Geschwindigkeit legen. Gerade die Athleten, die bereits mit einem „grossen Motor“, also mit einer sehr gut entwickelten Grundlagenausdauer ausgestattet sind, werden nur noch marginale Leistungszuwächse durch weiteres stupides Sammeln von lockeren Stunden und km erzielen. Der Benefit durch das qualitative Training dürfte weitaus höher sein. Athleten, die nach dem herkömmlichen Konzept trainieren, haben ihren Peak in Sachen Grundlage im März/April, meistens gipfelnd mit einem Trainingslager im Süden. Wie bereits erwähnt, ist die aerobe Kapazität mit ca 90% Anteil der wichtigste Faktor auf der Langdistanz. Selbst Topathleten wie Jan Frodeno bewegen sich in ihren Rennen primär im GA1/GA2-Übergangsbereich!!!!
Wenn nach der Trainingslagerphase Intensität ins Training einfliesst, verschlechtert sich diese Fähigkeit. Wir wollen aber im Juli im Vollbesitz unserer aeroben Fähigkeiten sein. Demzufolge wäre es richtig, direkt vorm Tag X den Focus auf aerobes Training, sprich lange und ruhige Einheiten zu legen. Ich hab als Coach sehr gute Erfahrungen damit gemacht, in der 3. und 4. letzten Woche vorm Höhepunkt einen massiven Grundlagenblock einzubauen und danach das Tapering mit anteilig viel Einheiten im GA1 zu gestalten. Das Wetter ist dann in der Regel auch weitaus besser als im Winter, so dass das Absolvieren dieser km leichter fällt.
Beim traditionellen Konzept wird zu Beginn nur im GA1 gearbeitet, dann das Volumen rausgenommen und Intensität hineingepackt. In diesem Moment fühlen sich die meisten Athleten unterirdisch, weil sie über einen zu langen Zeitraum folgenden Fähigkeiten „verlernt“ haben:
- Bewegungsökonomie, Bewegungsfrequenz
- Beweglichkeit
- Elastizität
- Kraft und Geschwindigkeit
Die Sportler müssen sich in diesem Moment extrem weit aus ihrer Komfortzone hinauswagen, was sehr oft zu Verletzungen führen kann, weil der Unterschied der Trainingsformen schlichtweg zu groß ist und somit nicht sauber kontrollierbar ist. Des weiteren kommen Zweifel auf, ob das Training ausreichend ist, weil ja durch die Reduktion des Volumens am Sonntag Abend in der Addition des Trainingstagebuchs weniger Stunden zu verzeichnen sind. Die Angst vorm Verlust der Ausdauer wird größer und größer. Meistens dann so groß, dass zusätzlich zum Intensitätstraining dann gleichzeitig wieder der Umfang erhöht wird. Beides in Kombination wird dann u.U zu viel und bringt das Kartenhaus zum Einstürzen, sprich der Athlet läuft Gefahr, ins Übertraining oder Verletzung zu gelangen.
Die meisten Athleten haben genug Ausdauer, um einen Zehnfach-Ironman zu finishen, aber darum gehts ja in den wenigsten Fällen ( und das ist auch gut so), sondern viel mehr darum, wie man möglichst schnell die Finish-Line erreichen kann.
Wenn jetzt über einen Zeitraum von 10-15Wochen ausschliesslich im Grundlagenbereich trainiert wird, ist das definitiv zu lang. In diesem Zeitraum verkümmern die o.g. Fähigkeiten recht deutlich.
Daher sollte man wirklich das ganze Trainingsjahr über Tempotraining in unterschiedlichen Formen ins Training einbauen. Bei sisu-training wird gleich zur Beginn der Vorbereitung der Focus auf Entwicklung der Geschwindigkeit gelegt. Kurze Intervalle mit hohem Tempo (dem Leistungsstand und der Jahreszeit angepasst), aber nie in der maximalen Geschwindigkeit, gekoppelt mit langen Pause, dienen dazu, die anaerobe Kapazität zu steigern und die Bewegungsfrequenz ( Schritt- und Armzugfrequenz) zu erhöhen. Allerdings ist eine Verbesserung nicht mit einzelnen Einheiten von Erfolg geprägt, es braucht meist 9-12 Wochen, um einen wirklichen Fortschritt zu verzeichnen.
Also: erst kommt das Tempo und wenn das Tempo entsprechend entwickelt ist, wird der Umfang oben drauf gepackt!!
Kritiker werden jetzt sagen, dass darunter die Ausdauer leiden wird. Es ist aber nicht so, dass ausschliesslich Intervalle geballert werden. Man darf nicht vergessen, dass die Kombination der 3 Disziplinen dafür sorgt, dass weiterhin die Ausdauer trainiert wird. Um die Ausdauer zu verbessern, muss man nicht viele Umfänge beim Schwimmen, Radfahren und Laufen trainieren. Die Kombination und die daraus resultierende Addition der Trainingszeit verbessern die Ausdauer!!
Ich teile das Trainingsjahr zwar auch in unterschiedliche Abschnitte ein, lege aber von vorne herein nicht die Dauer des Ganzen fest, sondern schaue mir die Entwicklung des Athleten an.
Die ersten 4-8 Wochen ( je nach Leistungsstand des Athleten) verfolgen das Ziel, die Motorik und die Kraftfähigkeiten zu verbessern. Krafttraining im Fitness-Studio, am TRX oder als klassisches Stabi-Training sind im Plan vorhanden.
Disziplinspezifisches Krafttraining sieht wie folgt aus:
- Schwimmen: Zugseil, Paddles/Pullbuoy/Knöchelband
- Radfahren: Kraftausdauer-Intervalle auf der Rolle oder Strasse
- Hügelsprints
Techniktraining steht ebenfalls auf der Agenda, wird in normale GA1-Einheiten eingebaut. Ein Mindestmaß an GA1-Training ist notwendig, es darf jedoch nicht zu viel Anteile am Gesamttraining einnehmen. Techniktraining sieht wie folgt aus:
- Schwimmen: Paddles/Pulbuoy/Band, denn dadurch wird das Anstellen des Unterarms provoziert, Schnorchel und basic drillt (Einarm, Abschlag, Faust, Wasserballkraul)
- Radfahren (primär auf der Rolle): Single leg drill, 9-to-3- drill, Top only drill, toe touch drill, Frequenzwechsel
- Laufen: Hügelläufe, Treppenläufe, Pose-Drills, Schrittfrequenz-Variationen, Seilspringen
Ein weiterer großer Aufgabenbereich ist das Thema Mobility. Um Bewegungen präzise und ökonomisch durchführen zu können, bedarf es einer guten Beweglichkeit, insbesondere in der Hüfte, Sprunggelenk, Schulter/Brust. Durch den verstärkten, nahezu täglichen, Einsatz von Blackroll und Co, wird in diesem Bereich sehr stark gearbeitet. Ohne ausreichende Beweglichkeit steigt das Verletzungsrisiko massiv an!
Die darauf folgenden 8-14 Wochen sind entscheidend in der Entwicklung der Geschwindigkeit. Viele Athleten assoziieren Speed automatisch mit all out-Sprints, doch das hat nichts mit dem Training für Langdistanz-Triathleten zu tun. Das Training der anaeroben Kapazität durch Intervalle und Krafttraining führt auf längere Sicht auch zu einer Verbesserung der aeroben Geschwindigkeit. Eine größere anaerobe Kapazität sorgt dafür, dass später im Trainingsjahr Einheiten an der Schwellenleistung besser toleriert werden können. Um diese anaerobe Kapazität zu fördern, sind kurze und harte Intervalle notwendig, die aber nie am Maximum ausgeführt werden, da hierin ein großes Verletzungsrisiko lauert.
Die kommenden 5-10 Wochen dienen der Verbesserung der Geschwindigkeit an der Schwelle aerob/anaerob. Deutliche Anteile des Gesamttrainings werden im späteren Wettkampf-Tempo absolviert, um den sog. muscle memory effect zu stärken.Nur wer im Wettkampf-Tempo trainiert, wird auch später keine Probleme haben, diese Pace im Rennen gehen zu können. Allerdings müssen die Intervall-Längen sehr mit bedacht gewählt werden, da hierbei ein großes Potential des Übertrainings besteht!
Die letzten 4-6Wochen vorm Höhepunkt sind vom Schwerpunkt her als Training der aeroben Kapazität, also des „großen Motors“ gekennzeichnet. In der vorangegangen Zeit wurde an den diversen Stellschrauben gedreht, so dass die Pace im Grundlagenbereich bereits enorm angestiegen ist. Wie bereits erwähnt, sind ca. 90% des Erfolgs auf der Langdistanz abhängig von der Entwicklung der Ausdauer und wir wollen am Tag X mit dem Peak an Ausdauer an den Start gehen. Die meisten Einheiten finden im GA1-Bereich statt, werden nur punktuell durch kurze Ausreißer ins Anaerobe gespickt.
Qualitatives Training darf nicht mit High Intensity Training oder Tabata Intervalle gleichgesetzt werden. Diese Trainingsformen finden immer am „Anschlag“ statt, finden aber aus Gründen des Verletzungsrisikos im Trainingsansatz von sisu-training keinen Anklang.
Abschliessend noch einige Tips für Anfänger:
Haltet euch zu Beginn eures Triathleten-Daseins vom Intervalltraining fern und trainiert primär im GA1. Der Grund liegt darin, dass viele Triathleten jahrelang gar keinen Sport gemacht haben und/oder Quereinsteiger sind. Gebt euch selbst die Zeit, eure Körper sich an die entsprechenden Belastungen gewöhnen zu lassen. Zuviel Tempotraining führt leider sehr oft zu Überlastungen, da das orthopädische System noch nicht ausreichend „abgehärtet“ ist.
Train safe!
Drafting- ein unlösbares Problem
Nachdem ich einige Bilder und Videos des vergangenen Wochenende von der Challenge Walchsee und der 70.3-WM in Mooloolaba gesehen habe, bin ich mittlerweile ganz klar der Meinung, dass Triathlon mit Windschattenverbot in der bisherigen Art und Weise keine Überlebenschance haben wird.
70.3WM
ETU-EM Challenge Walchsee
Das hilflose Verändern des Reglements bringt keine Linderung des Problems. Der Rolling Start sorgt zwar für etwas Entspannung beim Schwimmen, es finden sich aber sehr schnell wieder Grüppchen von Athleten mit gleicher Rad-Leistungsstärke, so dass das Problem wie bisher existiert. Das, was ich als Zuschauer bei diversen Rennen in 2016 sehen musste, grenzt eher an RTF oder Tour de France. Das Einführen der veränderten Windschattenbox der WTC mit dem erlaubten “Ansaugen” an den Vordermann, ist für mich ein Eingeständnis seitens der Veranstalter, dass man nicht mehr anders Herr der Lage sein kann. Über zu leichte Streckenprofile, zu große Starterfelder will ich mich gar nicht auslassen. Ich will da auch gar kein Ironman-Bashing betreiben, denn bei den Challenge Rennen, die ich zuletzt gesehen habe, war es kein Deut besser.
Apropos Ironman vs. Challenge:
Challenge wird gerne als altruistische Organisation dargestellt, die den Athleten nicht so sehr das Geld aus der Tasche zieht. Vielleicht sollte man die 39,- Startgebühr für einen 10km-Women Run auch mal hinterfragen. Darüber hinaus brüstet sich Challenge damit, dass sie kein Geld für ihre Pro-Lizenz im Gegensatz zu Ironman erhebt. Dass Profis bei den Challenge Rennen aber im Gegensatz zu den startgebühr-befreiten Rennen beim IM Startgeld zahlen müssen, wird nicht erwähnt. Bevor man die große Keule schwingt, sollte man auf jeden Fall erstmal genauer hinschauen!
Ironman versucht mit der “I am TRUE-Kampagne” an den fairen Sportsgeist zu appellieren, doch wenn ich Athleten mit einem solchen Body tattoo an letzter Stelle eines Pulks in entspannter Oberlenkerposition fahren sehe, dann muss man sich wohl leider eingestehen, dass das auch eher in den sinnlosen Bereich zu packen ist. Mittlerweile ist jeder auf der Suche nach einer schnellen Endzeit oder will sich den Traum von Kona erfüllen, koste es, was es wolle. Mich kotzt es selbst an, wenn ich Athleten, die in Hawaii-Schlagdistanz sind, den Hinweis mitgeben muss, dass sie am Rande der Legalität fahren müssen, denn sonst haben sie kaum reellen Chancen, sich auf ehrliche Art und Weise zu qualifizieren. Wenn ich als aussenstehender Coach Athleten sehe, die wie der berühmte Affe auf dem Schleifstein auf ihrem Rad sitzen, dann aber am Ende unrealistisch schnelle Bike-Splits in die Ergebnisliste getreten haben, dann muss ich auch nur 1 und 1 zusammenzählen. Es ist vollkommen falsch, ausschliesslich Verbände und Veranstalter zu kritisieren, man muss die Sportler in die Pflicht nehmen bzw. viel drastischere Strafen aussprechen. Ein paar Minuten Penalty schrecken nicht ausreichend ab. Die Idee der Lauf-Strafrunde bei der Challenge Roth find ich einen gelungen Ansatz, allerdings ist das immer noch zu lasch. Ich plädiere hier für eine Ausweitung von einem zusätzlichen auf drei bis fünf Extra-Kilometer, damit das Ganze richtig weh tut. Des weiteren sollten die Marshalls den Mut haben, mal ganze Pulks aus dem Rennen zu nehmen. Beim IM Frankfurt 2016 hätte man durchaus mal 500-600 disqualifizieren können. Ich denke, dass solch eine Aktion eine durchaus abschreckende Wirkung auf manchen Sportler hätte.
Ironman Frankfurt 2016
Die letzten beiden Punkte werden wohl nie umgesetzt werden, von daher muss man wohl eher sagen, dass man das Windschattenverbot aufheben muss. Zumindest auf der Langdistanz wird bei Windschattenfreigabe der allgemein stärkste Athlet gewinnen, da durch die schiere Länge der Radstrecke das Radfahren immer noch von zentraler Bedeutung sein und einen starken Einfluss auf den nachfolgenden Marathon haben.
Früher war leider alles besser!