9. Mai 2018 Mario Schmidt-Wendling

Schnittlauch 2.0 oder der Kampf der FTP-Giganten

Schnittlauch 2.0 oder der Kampf der FTP-Giganten 

Früher gab es die Schnittbesessenen, die egal unter welchen Vorraussetzungen und bei Wind und Wetter schwachsinnigerweise immer einen ganz bestimmten Schnitt am Ende einer Radeinheit auf dem Tacho stehen haben mussten.

Diese sog. Schnittlauche mag es zwar immer noch geben, sie werden aber immer mehr durch die FTP-Giganten abgelöst.

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Wenn man aktuell auf facebook oder Instagram Postings so mancher Athleten verfolgt, kann man den Eindruck bekommen, dass die Sportart Triathlon zu einem FTP-Schwanzvergleich zu verkommen scheint. Da werden Wattwerte, FTP-Testergebnisse und Angaben zu Watt/kg in schwindeliger Höhe angegeben, die manchen Radprofi aus der ProTour neidisch werden lassen.

Ich frage mich immer mehr, ob wir weiterhin einen Wettkampfsport ausüben oder eine Trainingsweltmeisterschaft.

Folgende Dinge sollten auf den Prüfstand, bevor sie in die Weiten des Internets gepostet werden:

  • hab ich ein zuverlässiges Powermeter-System, dass valide Werte anzeigt oder kommt die Ermittlung der Wattwerte dem Schmeißen von Würfeln gleich?
  • ist der Powermeter ordentlich kalibriert?
  • zeigt die Körperwaage verlässliche Werte an?

Mit den ersten bereits stattgefundenen Rennen kann man des Öfteren im Nachgang Kommentare wie „ ich konnte meine Wattwerte nicht erreichen und bin deswegen ausgestiegen“ oder „ich konnte nicht annähernd die Wattwerte aus dem Training realisieren“.

Auch hier sollte man sich einige Fragen selbst beantworten:

  • ist der Powermeter nach der Anreise (ggf. im Flugzeug) voll funktionsfähig?
  • ist mein Rad und mein gesamtes Set-up aerodynamisch günstig?
  • wurden im vorgeschalteten Training Fehler gemacht? Denn, wenn ich im Training mehr Watt auf das Pedal bringen kann als im Rennen, mach ich wohl einige Dinge falsch
  • ist die Pacingstrategie zu optimistisch und ich leide an Größenwahn?

Powermeter sind eine geniale Erfindung und ein absolut essentielles Tool zur Leistungsentwicklung. Für leider eine zu große Zahl Athleten sind die Zahlen bibelgleich, ich seh sie lediglich als Hilfsmittel!

Die Sportart heißt nicht „Wer hat die krassesten Wattwerte“ , sondern eben Triathlon. Großartige Rennergebnisse können auch entstehen, wenn das Radfahren schlechter als geplant verlaufen ist und man hintendrauf einen ordentlichen Lauf zeigen konnte. Das Nichterreichen irgendwelcher Wattwerte im Rennen muss somit u.U. nicht gleich das Aus bedeuten. Nicht die Zahlen gewinnen Rennen, sondern Athleten, denn „Gewonnen und verloren wird zwischen den Ohren“.

Ich empfehle daher dringen, von Zeit zu Zeit komplett ohne Elektronik unterwegs zu sein. Die Data-Nerds können den Tacho in die Rückentasche packen, aber nicht am Lenker montieren, denn die Sucht nach den Zahlen wird siegen!! Nur, wer sein eigenes subjektives Belastungsempfinden ausreichend schult, wird in der Lage sein, im Wettkampf die Zahlen auf seinem Tacho/seiner Uhr richtig interpretieren können und Strategien zur Hand haben, mit der jeweiligen Rennsituation umzugehen.

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Auffällig ist, dass die absoluten Superstars (mit Ausnahme Lionel Sanders) nicht Diejenigen sind, die mit ihren Wattwerten prahlen, sondern eher Sportler aus der 2.oder 3. Profireihe bzw. Age-Grouper. Dieses Phänomen ist zudem bei Frauen offensichtlich deutlich weniger ausgeprägt als bei den männlichen Athleten.